Bei über 80 Personen war Schluss, mehr Gäste fanden im Emmericher Kapaunenberg aus Gründen des Coronaschutzes keinen Platz. „Es war eine tolle Veranstaltung und wir hätten gerne noch mehr Menschen hineingelassen, aber der Schutz und die Abstandsregelungen gehen in Corona-Zeiten einfach vor. Mir tut es leid für die, die noch draußen vor der Tür standen“, erklärte Andrea Schaffeld, Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion Emmerich, die die SPD-Veranstaltung moderierte.

Neben dem Hauptredner Pfarrer Kossen konnten die Emmericher Sozialdemokraten auch den Bürgermeister der Stadt Peter Hinze, die Bundestagsabgeordnete Dr. Barbara Hendricks und den Landratskandidaten Peter Driessen im großen Saal begrüßen.
Pfarrer Kossen dankte der SPD für die Einladung und berichtete zunächst sehr eindrucksvoll aus seinen Erfahrungen mit der Arbeits- und Lebenssituation osteuropäischer Leiharbeiter. „Das System der Ausbeutung von Menschen läuft und läuft und große Fleischunternehmen verstecken sich hinter Subunternehmen. 6 Tage die Woche, 12 Stunden am Tag, oft bis zur Totalerschöpfung, arbeiten Rumänen und andere für unser Fleisch zu Billigpreisen. Wer physisch und psychisch an seine Grenzen kommt oder sich verletzt und einen Krankenschein bringt, kann gehen. Was diese Arbeiter in Deutschland lernen ist, dass sie nichts wert sind und Ihre Arbeit nichts wert ist“, so Pfarrer Kossen.
Passend dazu hatte die Emmericher SPD viele Reklameangebote der letzten Wochen aus den Zeitungsbeilagen gesammelt und auf die Stühle gelegt. „Anschaulicher kann man das Problem nicht darstellen“, erklärt Andrea Schaffeld.
„Osteuropäische Arbeitskräfte werden wie Maschinen oder Verschleißmaterial behandelt. Weil viele daran kaputt gehen, werden immer neue billige Arbeitskräfte angeworben, immer weiter im Osten oder auch Flüchtlinge. Arbeit wird per SMS befohlen und Überstunden spontan angeordnet. Chronische Leiden sind oft die Folge der würdelosen Ausbeutung. Die oft schlechte Unterbringung ist auf Abschottung angelegt. Integration kann so nicht gelingen“, kritisiert Kossen.
„Vor allen in der Fleischindustrie wird die Not der Menschen schamlos ausgenutzt. Ausbeutung funktioniert immer da am besten, wo der Arbeiter keinen Namen hat, sondern nur eine Nummer. Es ist ein menschenverachtendes Geschäft. Es ist faktisch Unmöglich Arbeitnehmerrechte durchzusetzen. Der Rechtsstaat ist hier gefordert zu handeln“, appellierte der streitbare Geistliche an die Politik. „An der Hygieneschranke der Großschlachtereien ist der Rechtsstaat am Ende seines Einflusses. Das ist nicht richtig. Hier werden Mensch und Tier gnadenlos ausgebeutet. Billig, billig, billig hat einen hohen Preis, den wir alle zahlen. Die Verquickung von Arbeits- und Wohnmöglichkeiten ist dabei besonders perfide. Holen, demütigen und erpressen. Arbeitsmigranten werden behandelt wie Leibeigene. Wie lange kann eine Gesellschaft wegschauen? Eine Gesellschaft, die solche Zustände zulässt, verliert einen Teil ihrer Kultur“, ist sich Pfarrer Kossen sicher.
„Das Ziel gleicher Lohn für gleiche Arbeit steht über allem. Nötig ist muttersprachliche Rechtsberatung, Arbeitskontrollbehörden, die auch tätig werden können, ordentliche Wohnungen für Arbeitnehmer und ein Weg zurück zur Stammgesellschaft. Betroffene Leiharbeiter brauchen eine bessere Unterbringung und Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Rechte“, wirbt Pfarrer Kossen auch für den von ihm gegründeten Verein „Würde und Gerechtigkeit“.
„Die Coronapandemie hat die Situation der Leiharbeiter in den öffentlichen Fokus gerückt. Politik und Gesellschaft wurden wachgerüttelt. Wir müssen die Ausbeutung von Leiharbeitern ächten“, fordert der Emmericher Bürgermeister Peter Hinze, der zugleich eine europäische Lösung einfordert, damit auch den Kommunen entlang der deutsch-niederländischen Grenze geholfen werden kann. Die Kommunen sind nicht machtlos, aber in ihren Wirkungsmöglichkeiten zum Teil eingeschränkt. Alle staatlichen Ebenen sind hier zum Handeln aufgefordert. Emmerich tut als Stadt, was es kann. Das wird auch so bleiben“, versicherte der SPD-Bürgermeister.
Die Frage, warum gerade Kirche und ihre Vertreter sich bei diesem Thema engagieren müssen, beantwortet Pfarrer Kossen mehrfach mit Zitaten von Papst Franziskus und mit einem Dietrich Bonhoeffer Zitat: Kirchen müssen mithelfen auf die Missstände hinzuweisen und wenn nötig, „dem Rad in die Speichen fallen“.
Barbara Hendricks, Kreis Klever SPD-Bundestagsabgeordnete ist sich sicher, „die Signalwirkung des neuen Gesetzes, das jetzt im Deutschen Bundestag nach dem Sommer beraten wird und mit dem in Deutschland in der Fleischwirtschaft nur noch im Betrieb angestellte Mitarbeiter arbeiten dürfen, ist ein großer Fortschritt und wird Signalwirkung haben. Wir wollen und werden jetzt durchgreifen. Die Politik hat hier eine Aufgabe und Verantwortung“.
„Künftig müssen die Unternehmen ihre Arbeiter auch anstellen und mitteilen, wo diese wohnen. Das ist das Gegenteil von organisierter Verantwortungslosigkeit. Die Arbeitszeit wird digital erfasst, es gibt Strafen bei Verstößen, der Arbeitsschutz wird verbessert und es gibt Mindestanforderungen an die Wohnungen, die vom Arbeitsschutz kontrolliert werden. Das wirkt dann auch in Emmerich“, so die engagierte und erfahrene Kreis Klever SPD-Abgeordnete.

„Der Verein von Pfarrer Kossen „Würde und Gerechtigkeit“ macht Leiharbeiter stark, damit sie sich nicht alles gefallen lassen. Bitte unterstützen Sie den Verein“, appelliert Andrea Schaffeld an die zahlreichen Gäste.
„Erst wenn die Arbeiter fest angestellt sind und eine vernünftige Wohnung haben, dann erst kann Integration starten und gelingen“, ist sich Bürgermeister Peter Hinze sicher.
„Es war ein informativer und wichtiger Abend“, erklärte Landratskandidat Peter Driessen im Gespräch nach der Veranstaltung und ergänzte: „Wenn ich zum Landrat des Kreises Kleve gewählt werden sollte, werde ich dieses Thema anpacken, Kommunen, Vereine und Verbände und die Politik an einen Tisch holen und gemeinsam nach Verbesserungen und Handlungsmöglichkeiten suchen. Es geht hier um Menschenwürde, nicht um Zuständigkeiten.“